Moment mal, was ist mit einem Augenblick gemeint?
Ich glaube, dass das Bild einer Uhr als Referenz versagt, selbst wenn es Freuds Uhr ist und selbst dann, wenn sie ihre Zeiger schon abgelegt hat.
»Per aspera ad astra«, nicht weit von hier und auch datiert auf Juli 2022, beschäftigt sich mit dem Raummaß. Jetzt soll dem Zeitmaß ein wenig Aufmerksamkeit zukommen, zufallen. Wird für Uhren mit analoger Anzeige, mit Zifferblatt, geworben, ist es im Regelfalle 10 nach 10. (Wie es um die Fotos zur Bewerbung von Uhren mit digitaler Anzeige bestellt ist, weiß ich nicht, und das interessiert hier und jetzt auch nicht.)
10 nach 10 – es wird nicht etwa ein magischer Zeitpunkt des Tages inszeniert (kein »midi juste« oder so ähnlich), vielmehr wird darauf gesetzt, dass die Assoziation der Zeiger mit einem Haken (für erfolgreiches Abhaken) und der Letter »V« (für victoria) entscheidend ist, dass das Aufkeimen oder Bestätigen von Kaufinteresse (zu diesem Zeitpunkt) aus der Vermittlung einer Lust geschöpft werden kann.
Ja, so ohne Zeiger wirkt Freuds Uhr doch ein wenig lustlos. Wir wollen doch bedient werden und wollen die empfundene Zeit nicht selbst (gedacht, gefühlt) in den Kreis schreiben, bitte kein produktionsästhetisches Mühsal, bitte nicht. Warum wollen wir das nicht? Uns ist – im Regelfalle – die Zeit schon Vielfaches der Sekunde, sich – rein progressiv – chronologisch am Datum langhangelnd. Zeit hat doch Warencharakter, ist doch Geld. Man weiß von Menschen, die durch unglückliche Fügung Zeit verloren haben sollen. Der Tageslauf geht ganz taktlos im Takt auf.
Was ist denn dann ein Augenblick? Ein Augenblick kann ein Fenster, gar eine Tür in die Ewigkeit sein, wenn man so vermessen ist, sich mit dem Messen zu messen, das Messen einfach hinter sich zu lassen. »Ich bin die Zeit! — ja und? Ich bin das Diktat der Sekunde! – und weiter?«
Bei mir selbst darf ich doch abschreiben, oder?
Kleiner Exkurs in die physikalische Betrachtung eines Phänomens des Alltags – der
Augenblick: Wieviel fällt uns doch zu diesem Begriff ein, welche Erinnerungen und
Erfahrungen können wir mit ihm verknüpfen. Die Physik ist, wie folgt, nüchtern interessant:
Gesucht ist die Anzahl der Augenblicke vom Urknall bis zum Verdampfen des letzten großen
Schwarzen Lochs. Die kleinste Zeiteinheit, die physikalisch (im Sinne der Disziplin »Physik«)
relevant ist, ist die Planck-Zeit: ca. 5 mal 10 hoch ‑44 Sekunden. Sofern Protonen stabil sind,
braucht es wohl ca. 10 hoch 122 Jahre, bis das letzte große Schwarze Loch verdampft ist. Ein
Jahr entspricht ca. 3 mal 10 hoch 7 Sekunden. Wir multiplizieren entsprechend und erhalten
10 hoch 122 mal 3 mal 10 hoch 7 durch (5 mal 10 hoch ‑44) = ca. 10 hoch 174.
Es gibt also (nicht mehr als) ca. 10 hoch 174 (eine Eins, gefolgt von 174 Nullen) Augenblicke.
[Ab da bleiben nur Elektronen-Positronen-Paare, Neutrinos und Gammastrahlung.]
Wir zeichnen drei Kringel – 9 hoch 9 hoch 9 – und sind schon jenseits dieser Zahl.
»Per aspera ad astra«: die Relation der physikalisch kleinsten vorstellbaren Fläche zur größten vorstellbaren Fläche liegt bei ca. 10124.
»Augenblick mal …«: die Relation der physikalisch kleinsten vorstellbaren Zeit zur größten vorstellbaren Zeit liegt bei ca. 10173.
Irgendwie scheint das ähnlich und beides geht auch nahezu identisch am Wesen vorbei.
Ach! Mir fällt da so viel ein, aber mir fehlt die Zeit, ich will sie nicht verlieren. Verlieren will ich mich im Gespräch, hier habe ich alle Zeit der Welt usw.