Digitalisierung ist immer Virtualisierung
Was nicht (mehr) lebt, kann auch nicht (mehr) sterben – oder vielleicht doch? Und wenn ja, wie und wodurch?
’68 hieß es »Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Raume« 1768 bei Kant. Ein uns wesentlicher Punkt wird hier zentral – und doch auch am Rande – ins Gespräch gebracht. »Raum« und »Richtung im Raum« sind – sich wechselseitig ermöglichend, sich bildend – eine Einheit. – »Wenn man sich vorstellet, das erste Schöpfungsstück solle eine Menschenhand sein, so ist es notwendig entweder eine Rechte oder eine Linke …«
Digitalisierung bedeutet erst einmal (nur), dass ein physikalisches, ein körperhaftes Objekt in eine Form reiner Information überführt wird – das Objekt wird in eine Folge aus Nullen und Einsen transformiert – ins Binärsystem, unseren einfachstmöglichen gemeinsamen Nenner. Digitalisierung bedeutet aber immer (auch), dass wir ein »Lesesystem« benötigen, um die digitalen Inhalte sichtbar und/oder hörbar zu machen – Nullen und Einsen machen unentschlüsselt wenig Sinn. Dieser Umstand ist ganz wesentlich für uns!
[Dass diese virtuellen Zeichenfolgen ihrerseits auch auf Körperlichkeit angewiesen sind (auf ein Speichermedium), wollen wir jetzt erst einmal vernachlässigen. Die damit einhergehenden Probleme werden uns später begegnen. So weit, so gut!]
Null und Eins, Schwarz und Weiß – erschließen lässt sich das Ganze erst aus dem Leben heraus, in das Leben hinein. Das Deskriptiv wird dynamisch, wird ins Narrativ ausgewildert. Einbildungskraft paart sich mit Urteilskraft und sorgt so für das Aufkommen, das Aufkeimen von Vorstellungen, die wir mit anderen teilen, die wir mitteilen können. Mit der Digitalisierung ist nur dann gewonnen (im Sinne von geholfen), wenn das Leben nicht auf der Strecke bleibt.
Das Bild mit dem schwarzen Text ist ein Foto des zentralen Mosaiks der Gedenkstätte »Strawberry Fields« des New Yorker Central Parks.
Digitalisierung wandelt Substanz in Information – ein Prozess mit kritischen Passagen
Wir wollen uns nun bildgebende Verfahren der Digitalisierung näher anschauen, wobei wir die Aufzeichnung akustischer Signale Teil unserer Überlegung sein lassen wollen. Uns interessieren Digitalisate, die wir sehen und hören können (via Bildschirm und Lautsprecher) und mit denen wir interagieren (umgehen) können, mit der Maus, der Tastatur, dem Touchscreen oder einem sonstigen Eingabegerät.
Das Digitalisat unterscheidet sich von seiner Vorlage ganz wesentlich durch das Fehlen der Dinglichkeit, der faktischen Präsenz im Raum, der individuellen Eigentümlichkeit. (1.000 Exemplare eines Buches sind eben doch 1.000 Exemplare, 1.000 Datensätze sind 1.000 identische Kopien, die nicht zu unterscheiden sind.)
Das Digitalisat verhält sich zum Original in technisch identischer Reproduzierbarkeit
Wenn wir wissen wollen, wann und wo uns Digitalisierung dienlich sein kann und wann und wo eine Digitalisierung unseren Absichten eher abträglich begegnet, sollten wir diese basalen Umstände vor Augen haben, eine (fundamentale) Binse.