Gegen Mit­te der 1990er Jah­re habe ich wegen des Kaufs eines Schreib­schranks eine Haus­halts­auf­lö­sung in Frank­furt besucht. Bei die­ser Gele­gen­heit habe ich auch ein paar Stüh­le, zwei Rega­le und diver­se Klei­nig­kei­ten erstan­den; ich hat­te mir ja extra einen klei­nen Lie­fer­wa­gen gemie­tet, Platz war also kein Pro­blem. Geblie­ben sind mir die Stüh­le und der (wesent­li­che) Teil des Inhalts eines klei­nen Kof­fers. Mich inter­es­sier­te damals nur der Kof­fer – den Inhalt kann­te ich ja noch nicht –, und der »Ent­sor­ger« sag­te mir, dass ich ihn mit­neh­men kön­ne, sofern ich auch den Inhalt mit­näh­me, ansons­ten wer­de er auf dem Müll lan­den. Nach­dem ich wie­der zuhau­se war, die Möbel aus­ge­la­den, der Lie­fer­wa­gen zurück­ge­bracht, habe ich den Kof­fer geöffnet.

 

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Das Bild (Ent­wurf des ersten Brie­fes und ers­te Ant­wort) kann durch einen Klick ver­grö­ßert werden.

 

Wenn nur ein Satz bleibt, dem geliebten Partner den Tod des Vaters mitzuteilen …

Ich staun­te nicht schlecht, den akku­rat doku­men­tier­ten Brief­wech­sel aus fran­zö­si­scher Kriegs­ge­fan­gen­schaft zu fin­den; rund 140 Brie­fe, zwei­ein­halb Jah­re Ehe, gemein­sa­mes und je eige­nes Erle­ben auf weni­ge Wor­te redu­ziert, kon­den­siert, sedi­men­tiert – Kal­kül mit Inhalt und Quan­tum*. Eine beein­dru­cken­de und sehr per­sön­li­che Doku­men­ta­ti­on. Ich habe die Brie­fe und Ent­wür­fe gele­sen, chro­no­lo­gisch geord­net und in mein Archiv gepackt – immer mit der Idee im Hin­ter­grund, dass man die­sen Schatz ein­mal auf­ar­bei­ten könne.

Jetzt, anläss­lich des 75. Jah­res­ta­ges des Kriegs­en­des, habe ich mich der Sache wie­der ange­nom­men, und wei­ter­hin kommt mir beim Lesen der US-ame­ri­ka­ni­sche Eth­no­lo­ge Clif­ford Geertz in den Sinn. Auf Geertz wur­de ich durch sein Buch »Dich­te Beschrei­bung: Bei­trä­ge zum Ver­ste­hen kul­tu­rel­ler Sys­te­me« auf­merk­sam (deutsch: über­tra­gen von Bri­git­te Luche­si und Rolf Bin­de­mann – Suhr­kamp, Frank­furt am Main 2002; eng­lisch: »Thick descrip­ti­on: Toward an inter­pre­ti­ve theo­ry of cul­tur« aus »Inter­pre­ta­ti­on of Cul­tu­re. Sel­ec­ted Essays.«, Clif­ford Geertz, 1973). Er dehnt mir den Raum zwi­schen den Wor­ten, lässt eine Viel­falt sym­bo­li­scher Wel­ten auf­kom­men und schil­lern. Er lässt mich den Text, von der Gram­ma­tik über die Seman­tik, die Semio­tik zur Sym­bo­lik fol­gend, wür­di­gen. Ich lese den Text, der mir die Men­schen vor­liest; mit Julia Kris­t­e­va gespro­chen tau­che ich in einen Dis­kurs in einer Spra­che, die es zu erler­nen gilt.

aus dem Anfang der Dich­ten Beschreibung:

  • Kul­tur ist kei­ne Instanz, Kul­tur ist ein Kontext.
  • Eth­no­lo­gi­sche Schrif­ten sind Fik­tio­nen, »etwas Gemach­tes«, »etwas Hergestelltes«.
  • Man befreit einen Begriff von den Män­geln des Psy­cho­lo­gis­mus viel­leicht dann, wenn man ihn nicht sofort mit den Män­geln des Sche­ma­tis­mus behaftet.
  • Was wird aus dem Ver­ste­hen, wenn das Ein­füh­len entfällt?

aus dem Ende der Dich­ten Beschreibung:

  • »Lie­be« ist ein erfah­rungs­na­her Begriff, »Objekt­bin­dung« ist ein erfahrungsferner.
  • Wel­che Rol­le spie­len die­se bei­den begriff­li­chen Ebenen?
  • Im Land der Blin­den, die gar nicht so wenig mit­be­kom­men, wie es den Anschein haben könn­te, ist der Ein­äu­gi­ge nicht König, son­dern Zuschauer.
  • Jeman­den zu iden­ti­fi­zie­ren, heißt, mit dem Betref­fen­den eine der ver­trau­ten Rol­len zu besetzen.
  • Das Ver­ste­hen des­sen, was im Innern des Ande­ren vor sich geht, gleicht dem Lesen eines Gedichts als einer mys­ti­schen Kommunion.

Soll­ten Sie bis hier gele­sen haben, ist das Pro­jekt viel­leicht von Inter­es­se für Sie. Haben Sie Lust, sich an der Ber­gung die­ses Schat­zes zu betei­li­gen? Ich bie­te den Brief­wech­sel und mei­ne Unter­stüt­zung den­je­ni­gen an, die hier einen Anknüp­fungs­punkt für eine Abschluss­ar­beit (Uni­ver­si­tät oder Hoch­schu­le) sehen. Wesent­lich wäre mir, dass Sie sich dem Text mit einem trans­sek­to­ra­len Ver­ständ­nis nähern wollen.

Hier kön­nen Sie mit mir in Kon­takt » tre­ten.

* um den Per­sön­lich­kei­ten gerecht zu wer­den, habe ich (hier) in den Repro­duk­tio­nen die Namen ersetzt oder ver­deckt und Orte ausgetauscht.