Ich möchte wollte mit Euch über Denise Morin-Sinclaire und Pierre Klossowski sprechen: zwei Namen, die im Geiste des Lesers nur wenige oder sehr viele Assoziationen auslösen.
Je parle de rien du tout
Es sollte hier um Pierre Klossowskis Büchlein »La Monnaie Vivante« gehen, und wir wollten uns diesem Text nähern, indem wir uns von einem Gedanken von Heinz von Foerster begleitend unterstützen lassen, einem Gedanken, der uns den Blickpunkt ins rechte Licht (ver)schiebt: »The cause lies in the future.« – »Die Ursache liegt in der Zukunft, die Handlung in der Gegenwart.«
Aber …
— Pause —
Zu Pierre Klossowski (* 1905 † 2001) höre ich ganz unterschiedliche Stimmen.
»Wieder nur der Versuch eines Mannes, das für ihn Unerreichbare anzuschleimen und etwas in Kategorien zu fassen, das er nicht versteht?« – eine Reaktion aus dem Freundeskreis auf Klossowskis Text »Das Bad der Diana« (um den es wohl in einem der nächsten Beiträge gehen wird).
»Sieht man von der Provokation des Klossowskischen Denkens ab, erweisen sich seine Beiträge als eher bescheiden, hoffnungslos überbewertet. Klossowski war lange Zeit zur rechten Zeit am rechten Ort, wurde so vom relevanten (weil publizierten) Teil der französischen Intelligenz mit-getragen.« – eine weitere Reaktion aus dem Freundeskreis, diesmal auf das Gesamtwerk bezogen.
Michel Foucault hingegen, sieht Pierre Klossowski ganz anders. »La Monnaie Vivante« bezeichnet er etwa (Anfang der 70er Jahre des 20. Jhdts.) als das »größte Buch unserer Zeit« – »It is such a great book that everything else recedes and counts only half as much anymore. This is what we should have been thinking about: desire, value, and the simulacrum.«. Sie verzeihen bitte, dass mir hier seinerzeit nur eine englische Übersetzung von Foucaults Aussage vorliegt.
Hmm …
Zu Denise Morin-Sinclaire (* 1918 † 2019) höre ich wenig, ganz wenig, fast nichts, zu wenig – Denise Morin-Sinclaire erfahre ich sehend.
PS »Denise und Pierre? Beeindruckende Persönlichkeiten – Persönlichkeiten einer eigenen Hochkultur!« – noch eine Reaktion aus dem als nah empfundenen Umfeld, die ich erst an dieser Stelle Erwähnung finden lassen möchte, um die Spannung zwischen den ersten Positionen bis hierher (und ggf. auch gerne weiter) halten zu können. Vielleicht ist es auch einfach nur ein Zusammenfassen, aus dem Konkreten gehoben, ins Konkrete gehoben. Und – die Dame, die diesen Eindruck mit mir teilt, war zugegen, zugegen als Denise auf die Frage nach ihrer beruflichen Beschäftigung klar, deutlich und missverständlich unmissverständlich sprach: »Je ne fais rien du tout.«
— Pause —
Knifflige Signifik
Ich sagte ja einleitend schon, dass wir uns dem Text nicht auf den üblichen Wegen nähern wollen können. Sinn, Bedeutung und Bedeutsamkeit kreisen im Konkreten, und wir sind (nun mal) (nun hier).
Lassen Sie sich trotzdem einladen? Sie finden die deutsche Fassung des Textes (übertragen von Gabriele Ricke und Ronald Voullié) bei Turia + Kant »
Beim gleichen Verlag finden Sie hier » auch den Materialband »Wörter, Bilder, Körper«, der sich einer Enträtselung unseres kleinen Textes widmet.
Die bebilderte Erstausgabe (1970 Paris, Éric Losfeld, Éditeur) und auch ihre deutsche Version (Übertragung und Vorwort ebenfalls von Gabriele Ricke und Ronald Voullié) aus dem Impuls Verlag (1982 Bremen) finden sich derzeit (08÷2023) – soweit ich es überblicke – nur noch antiquarisch. Sollten Sie Interesse zeigen, leistet Ihnen die Meta-Suchmaschine Eurobuch » sicher gute Dienste.
Es mag Ihnen vielleicht merkwürdig scheinen. Die bebilderten Ausgaben entfalten den Text in eigener Form, setzen dem Verstehen ein eigenes Umfeld, adressieren das Lesen Leben anders (mir besser).
[Ganz am Rande: Ich konnte und wollte bei Gelegenheit auch auf den Geruch der drei Ausgaben zur Sprachen finden. Haben Sie die Bücher, können Sie dann – vielleicht – tatsächlich folgen. Ich weiß jetzt allerdings (noch) nicht nicht mehr, ob das auch nur ansatzweise von Relevanz sein könnte. Wenn es um die Digitalisierung von Literatur geht, kommt (zumindest kam) der Geruch von Büchern häufig als fast totgerittenes Pferd daher, wenn es um Digitalisierung geht – bla bla bla – schade eigentlich … Wissen Sie, wie es um die Dokumentation von Gerüchen bestellt ist, was vom Geruch bleibt, wenn er informatisiert (also virtualisiert) wird? Klar wissen Sie das, Sie müssen es sich ja nur vorstellen. Im konkreten Fall möchte ich aber nicht auf das Grundsätzliche hinaus.]
Nachtrag: Heute weiß ich es. Der Geruch der Erstausgabe ist goldener Schlüssel, öffnet alles.
— Pause —
Warum (nur) hier und jetzt zu schweigen ist
Vor Kurzem erhielt ich »Worte drehen« von Jacques Derrida und Safaa Fathy (Verlag Brinkmann & Bose », Berlin 2016). Als Dreh- und Angelpunkt dieses Gesprächs »am Rande eines Film« kann eine Kachel verstanden werden, die (mit Friedrich Schlegel gesprochen) aus der Reihe tanzt, um 180° gedreht das Muster bricht, die Kachelung bricht, stört. Rike Felka übersetzt Fathy »Endlich. Das Haus in El Biar«, und Hans-Dieter Gondek übersetzt Derrida »C: Fliesen« (im Original Carrelage, womit das Fliesen gemeint ist). Derrida sagt vieles, Fathy sagt alles – beides scheinbar. So geht mir von Bild und Lektüre ein Impuls aus, der meine bereits aufgereihten Buchstaben, Worte, Sätze und Absätze verschwinden lässt. Der Text verschwindet, indem er nach Erreichen seiner kritischen Dichte konsequent bleibt/wird(?) und kippt, in seiner gewonnenen Präsenzlosigkeit gereifte Plastizität erlangt usw.
Eingedenkendes umdenkend: [(Beredtes) Schweigen ist Silber, Reden ist (nur?) Gold]
Es ist merkwürdig, eine nicht gegebene Sprache bemühen zu wollen, die eigentlich am Gemeinten vorbei-führt und doch – so – mitteilsam ist, dass Unverständlichkeit vermeidbar scheint, jedoch alles füllt.
Die Prosa der Welt ist Oratur
— Pause —
Jetzt denke ich an Jacques Derridas Werk »La Dissémination«, an das Cover der französischen Edition. Seltsam, meine deutsche Ausgabe habe ich mit Geld bezahlt, das ich von der Degussa für Zahngold erhalten habe. Mein Arzt hat mir eine Krone ausgewechselt, und ich habe reinvestiert. Jetzt treffen sich (mir) so auch Gold und Silber.
zwischendurch ein Anagramm: Denise Morin-Sinclaire = Indices normalisieren
{La dissémination de la semeuse [Le secret de Lamiel est la sécrétion de miel?]}
Was aber noch zum Buch, zu diesem Buch von Jeanne Favret-Saada – zu genau diesem Exemplar –, gesagt werden muss: Das Buch wurde verschenkt und die Beschenkte hat es gelesen, indem sie einen Tropfen Blut aufs Cover brachte. So hat sie einen Augenblick von Sinn, Bedeutung und Bedeutsamkeit in ein bleibendes Bild fixiert – eine Meisterleistung!
Pierre stirbt 2001, Denise stirbt 2019
Pierre Klossowski spricht: »Nur indem es (ein einziges Individuum) sich seiner eigenen Zufälligkeit überlässt, kann es sich Zugang zur Totalität der Zufälle verschaffen und somit seine Vergangenheit als Zukunft wahrnehmen.« … und Denise zeigt uns ihr Antlitz, an einem Objektiv vorbeischauend.
Schluss: Die Ursache wird in der Zukunft gelegen haben, die Handlung (weiterhin) in der Gegenwart.
— große Pause —
Epilog?
Wir sind jetzt hier.
Bitte, bitte fragen Sie sich, ob Ihr Alltag von ausreichend Zyklen und Zeitlosigkeit beherbergt wird!