(vorgezogenes) PS Karol Irzykowski ist Ihnen nicht bekannt? Sollte Sie der folgende Beitrag neugierig machen, finden Sie ihn hier » und besonders auch hier » in etwas konkreterer Darstellung.
Es gibt da einen Brief, der einige Fragen offen lässt und so einige Fragen zu beantworten scheint.
Vor einiger Zeit (im Februar 2022, also doch eher vor kurzem) stolpere ich im Sigmund Freud Archiv der Library of Congress über einen undatierten Brief, den Karl Irzykowski an Freud geschrieben hat – gemeint ist natürlich Karol Irzykowski. Die fehlerhafte Verschlagwortung macht ein gezieltes Finden schwierig – schade.
Nach einem eher flüchtigen Transkript des Briefes war ich der Auffassung, dass Irzykowski Freud angeschrieben haben musste, als er noch in Brzeżany (Galizien) lebte. Da kann er noch nicht fünfzehn Jahre alt gewesen sein. Mich wundert die Eloquenz des Knaben, sonst scheint vieles stimmig.
Im zweiten Durchlauf ändert sich die Perspektive. Im Brief wird ein Werk erwähnt, das erst 1908 (in der angesprochenen 5. Auflage) veröffentlicht wird. Karol Irzykowski muss also mindestens fünfunddreißig Jahre alt sein, als er Freud anschreibt. Seine Eloquenz scheint mir nun selbstverständlich, doch der Eindruck, dass ein recht junger Mensch schreibt, bleibt.
Für mich ist es weiterhin eine Besonderheit (und ausschlaggebend für die Erstellung dieses Beitrags), in welchem Duktus Karol Irzykowski auf Freud zugeht. Er macht sich in einer Art »klein«, wie ich es nicht erwartet habe. Während er schreibt, ist er gleichzeitig der gebildete, erfahrene Mensch Irzykowski und der Schüler Karol – er schreibt in Superposition mehrerer Zeiten. Er thematisiert sein Stottern. Und genau hier braucht es eine Hermeneutik, die in der Lage ist, sich jeglicher Systematisierung zu entziehen, die die Eigentümlichkeit wahrt, die die Seele zu erfahren und zu bergen weiß.
Dass ausgerechnet Irzykowski selbst das von ihm an Freud kritisierte Verhalten – und auch noch im Selbstbezug – widerfährt, macht mir den Brief besonders interessant. Sicher ist es sehr lohnend, dem Brief tiefenhermeneutisch zu begegnen; ich vermute reiche Früchte.
Das Digitalisat findet sich hier: https://www.loc.gov/item/mss3999000782
Meine Übertragung in durchsuchbaren und besser lesbaren Text habe ich hier » abgelegt.
Am Rande darf ich noch anmerken, dass es mir immer wieder unangenehm ist, wenn ich fremde Briefe lese. Das Recht auf Privatheit sollte unbegrenzt unantastbar sein.
PS Von einer Reaktion Freuds ist leider nichts bekannt.